Edler Pilzbefall

Die Pilzbrüder züchten in einem Gewölbekeller mitten im zweiten Bezirk Speisepilze, die in der Wiener Spitzengastronomie heiß begehrt sind.

Text: Michael Rathmayr

Der größte bekannte Pilz der Welt misst neun Quadratkilometer. Er ist in der Erde des Malheur National Forest in Oregon, USA zuhause. Im Gewölbekeller der Pilzbrüder, unter Mochi und Ansari in der Praterstraße, ist das Platzangebot nicht ganz so grenzenlos. Die biozertifizierten Schwammerl wachsen hier aus so genannten Substratblöcken, manche muten dabei an wie kleine, wunderliche Skulpturen. Und alle schmecken sie delikat. Das beweist schon die Stammkundenliste der Pilzgeschwister Otto und Martin Kammerlander – gewissermaßen das Who-is-who der progressiven Wiener Spitzengastronomie: TIAN, Mraz und Sohn, Labstelle, Kelsen sind nur einige davon.

Blockabfertigung

Die Pilzbrüder haben sich spezialisiert auf Kräuterseitlinge und Shiitake, je nach Jahreszeit kommen manchmal Pompom, Frisée, Kastanien- und Rosenseitlinge dazu. Alle wachsen sie auf den Blöcken aus feinen Hackschnitzeln, vorwiegend Buchenholz, sterilisiert und angereichert mit biologischen Zusätzen, die Pilzen schmecken. Die Substratblöcke werden mit Pilzsporen beimpft und eingesackt, so landen sie dann in der Praterstraße. Zehn bis 21 Tage dauert es im Gewölbekeller je nach Sorte, nach Temperatur, Feuchtigkeit und Sauerstoffgehalt der Luft, bis die Blöcke fruchten. Auch das Massieren der Pilzgeflechte helfe beim Wachstum, erzählt Otto Kammerlander. Aber da hätte jeder seine ganz eigene Technik. An den Druckpunkten wachsen angeblich verstärkt die Fruchtkörper heraus – im besten Fall oben und einzeln, anstatt viele Schwammerl an allen Ecken. Runde Sache, außerdem: Die abgeernteten Blöcke kommen in den Biomüll, es wird Kompost daraus gemacht.

"Die Lage hier, mitten in Wien, ist ein zentraler Teil unseres Erfolges."
die Pilzbrüder

Bio und lokal

Mit ihren drei, manchmal vier Mitarbeitern („alles Idealisten“) schupfen Otto, Jurist, und sein Bruder Martin, Grafik- und Produktdesigner, die Pilzbrüder nebenher. Vor fünf Jahren als Herzensprojekt mit Naturbezug gegründet, hat sich das Unterfangen dank der hochgradig schmackhaften Produkte, sehr kurzer Transportwege und bester Mundpropaganda sehr erfolgreich entwickelt. 100 bis 150 Kilo Pilze verkauft man pro Woche, vor allem an die Gastronomie in den innerstädtischen Bezirken in Wien. Bestellungen kommen unbürokratisch, oft via WhatsApp daher. In der Früh wird geerntet – eine Stunde später landen die Pilze per Lastenrad in den Restaurantküchen. Knallfrisch und saftig, formschön ohne Druckstellen oder Risse. Das freut Kunden wie Paul Ivić und Lukas Mraz.

Gesundes Wachstum

Die Pilzbrüder haben über die Zeit immer wieder optimiert – in Teamarbeit die Holzregale für die Substratblöcke gebastelt, einen Lastenlift einbauen lassen. Wirtschaftlich bleibe mittlerweile auch etwas liegen, aber ihre Stunden dürften Otto und Martin dabei nicht zählen. Die beiden wohnen mit ihren Familien im Haus, das hält zumindest die täglichen Wegzeiten im Minimalbereich. Und das Ganze, so Otto Kammerlander, mache immer noch dermaßen viel Freude, dass man sich gut vorstellen kann, die Pilzbrüder weiter zu intensivieren. Das rasant wachsende Interesse an den gesunden Pilzen, der Austausch mit den längst befreundeten Köchen, das Miteinander als Brüderpaar, die Grätzel-Bekanntschaften durch den wöchentlichen „Ab-Hof-Verkauf“ an Privatleute – nichts davon wolle man missen. Aber mit den Produkten vor Ort bleiben wolle man eben auch, sich keine Transportgeschichten aufhalsen. Weitere Keller seien im Gespräch, mit veredelten Produkten im Glas, wie „Shiitake Bruschetta“ oder „Pilzognese“, testen die Brüder die Nachfrage aus. Am Ende, so macht es den Anschein, läuft hier alles mit Muse, ohne allzu großen Druck. Fast täglich kommen die Pilze außerdem in den Privatküchen der Kammerlanders zum Einsatz. Ein Herzensprojekt eben.

"Unsere Pilze, das Miteinander, der Austausch - das alles macht uns große Freude."
Otto Kammerlander, Jurist und Pilzbruder

Pilzbrüder

2015 gegründet, machen Otto und Martin Kammerlander seither in der eng verbandelten, progressiven Wiener Spitzengastronomie von sich reden. Ihre Bio-Kräuterseitlinge und -Shiitake ernten sie in der Früh – kurze Zeit später landen die frischen, saftigen Pilze per Lastenrad, perfekt in Form und Farbe, in den Restaurantküchen. Für private Pilzfreunde gibt es außerdem den wöchentlichen „Ab-Hof-Verkauf“ in der Praterstraße.

© Michael Rathmayr, Pilzbrüder, TIAN/Ingo Pertramer

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