Back to the Roots

Naturwein liegt seit einigen Jahren immer mehr im Trend. Was ihn genau ausmacht, wissen allerdings die wenigsten. Weinakademiker Florian Ortner erklärt, was hinter der Modeerscheinung und ihrer Bezeichnung steckt.

Text: Denis Pscheidl

Orange, Natural oder Raw Wine mischen in letzter Zeit die hippen Lokale der Republik auf und brechen mit den Konventionen der Szene. Oft werden sie fälschlicherweise als Naturweine bezeichnet. Ein Überbegriff, unter dem jeder etwas anderes versteht. Für manche ist es ein trüber Wein, für andere ein trendiges Lifestylegetränk. Grundsätzlich gilt: Bei Naturweinen wird so wenig wie möglich in den Herstellungsprozess eingegriffen. 

Unterschiede zu Qualitätsweinen

Laut Gesetzgeber ist Wein prinzipiell ein Naturprodukt und die Bezeichnung „Natur“ oder Ähnliches am Etikett eine Irreführung des Verbrauchers und nicht erlaubt. Trotzdem hält sich Naturwein als Synonym für sogenannte Alternativweine, deren wichtigste Typen Natural, Orange und Raw Wine sind. „Sie unterscheiden sich von Qualitätsweinen vor allem dadurch, dass im Keller nur minimalste Eingriffe vorgenommen werden“, erklärt Weinakademiker Florian Ortner. 

Das sieht man den Alternativ- beziehungsweise Naturweinen auch an. Sie sind deutlich trüber als andere, weil sie nur wenig oder gar nicht gefiltert und mitsamt Schwebstoffen abgefüllt werden. Außerdem wird nur wenig oder gar kein Schwefel hinzugefügt. „Deswegen muss gerade im Segment der Alternativweine so sauber wie möglich gearbeitet werden, damit das Endprodukt wirklich stabil ist“, sagt der Experte. Ein weiterer Unterschied ist, dass beim Alternativwein am Etikett nicht genau definiert ist, wo er herkommt. Statt der kleinsten Herkunft steht dann nur das Weinland auf der Flasche. Alle Weine müssen aber nach dem österreichischen Weingesetz hergestellt werden. 

Besonders bei der Natural- Wine-Bewegung, deren Anfänge in den 1980er-Jahren liegen, haben sich Grundsätze des biologischen Weinbaus, der Handlese, des Verzichts auf Zusatzstoffe zur Gärung oder Konservierung und auf Schönung oder Filtration etabliert. Die Natur- oder Alternativweine sind also eine Gegenbewegung zu den homogenen und industrialisierten Qualitätsweinen, die den Markt dominieren. Ganz nach dem Grundsatz: So viel wie nötig, so wenig wie möglich – oder back to the roots.

Natural Wine & Raw Wine

„Für mich ist das Ganze eine sehr persönliche Geschichte“, sagt Lisi Dirnbeck. Die immer neuen Aufgaben, die Gäste, die gut gelaunt zu ihnen ans Wasser kämen, die auch fürs Team noch immer berührenden Hochzeiten und anderen Familienfeste: Es deutet alles darauf hin, dass die Gastronomie Lisi und Markus bis zur Pension erhalten bleiben wird. „Das KOi wächst mit uns, das geben wir nicht mehr her.“

"Alternativweine unterscheiden sich von Qualitätsweinen vor allem dadurch dass im Keller nur minimalste Eingriffe vorgenommen werden."
Florian Ortner

Kurzlebiger Trend oder gekommen um zu bleiben

Bei der Domäne Wachau, wo Ortner im Vertrieb tätig ist, werden zwar zu 99 Prozent Qualitätsweine produziert, daneben gibt es aber auch eine kleine Nische, die sich Backstage nennt und wo über den Tellerrand geschaut wird. „Das sind nicht alles Naturweine, aber zwei Produkte aus der Backstage-Reihe fallen in dieses Segment“, erklärt der Experte. Ein Müller- Thurgau aus dem Betonei und ein Riesling aus Tonamphoren. „Wir merken auf jeden Fall, dass diese Weine sehr im Trend liegen. Teil­weise kommt es sogar vor, dass sie ein bis zwei Monate lang nicht mehr verfügbar sind.“ Das merke man auch beim Gespräch mit den Kunden. Vor allem beim jüngeren Publikum seien diese Weine sehr beliebt.

„Am Ende ist es der coolere und freakigere Wein, der in den hippen Bars getrunken wird und deswegen auch eher in den Städten beliebt ist.“ Allerdings sei es immer noch eine Nische und man müsse keine zusätzlichen Betoneier oder Tonamphoren kaufen, um die Nachfrage zu decken. 

Ortner glaubt zwar, dass sich der Trend fortsetzt, aber auch, dass es eine Nische bleiben wird. „Der Naturweinsektor ist definitiv in Mode, aber es ist jetzt nicht so, dass alles andere wegfällt oder die Leute keine Qualitätsweine mehr trinken würden.“

Umweltfreundlicher Anbau

Besonders beim Natural Wine wird neben geringstmöglichen Eingriffen im Keller auf biologischen Weinbau geachtet. „Wenn man in die Zukunft schaut, ist Bioanbau die einzige Möglichkeit, denn wenn das Klima weiterhin so verrücktspielt, brauchen wir widerstandsfähige und gesunde Reben, die den Wetterkapriolen widerstehen können“, erklärt Ortner. Je natürlicher und gesünder im Weingarten gearbeitet wird, desto besser für die generelle Biodiversität. Bei der Bewirtschaftung wird bewusst auf eine ökologische Vorgehensweise geachtet und keine chemischen Pestizide wie Glyphosat werden verwendet. Allerdings bedeutet Bio laut Ortner nicht unbedingt nachhaltig. 

Wer nachhaltigen Wein herstellen will, muss konsequenterweise einen Schritt weiter gehen, denn umso mehr Maschinen verwendet werden, desto dichter wird der Boden. Dadurch finden sich dort weniger Tiere wie Regenwürmer sowie Pflanzen und Mikroorganismen, die wichtig für die Gesundheit der Reben sind. Auf den Steinterrassen der Domäne Wachau wird deshalb ausschließlich von Hand gelesen.

Der Geschmack

Naturweine besitzen oftmals keine so ausgeprägte Sortentypizität wie sonst üblich, da die längere Maischestandzeit Einfluss auf das Geschmacksprofil hat, so Ortner. Sie entwickeln andere Aromen und Typizitäten als Qualitätsweine, weil sie eben nicht geschwefelt oder gefiltert werden. Allerdings ist nicht vorgegeben, in welche Richtung das zielen soll. „Natürlich wäre es perfekt, wenn ein Muskateller am Ende auch als solcher erkannt wird“, findet Ortner.

Man erkenne vielleicht noch die Säure eines Riesling oder die Typizität eines Müller-Thurgau, aber bei geschmacksintensiven Rebsorten wie Muskateller oder Traminer sei das nicht selbstverständlich, und bei filigraneren Weinen wie Chardonnay schon gar nicht. Orange Wine zeigt aufgrund der längeren Maischestandzeit zum Teil Strukturen und Tannine, die man üblicherweise nur in Rotweinen findet, jedoch gepaart mit der Frische und Fruchtigkeit weißer Trauben.

Unter der Leitung von Roman Horvarth und Heinz Frischengruber hat sich die Domäne Wachau zu einem der bedeutendsten Weingüter Österreichs entwickelt.

© Domäne Wachau, OeWM/Martin Grabmäler, OeWM/Blickwerk Fotografie

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